Elisabeth Schwall
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Rede von Prof. Dr. Helge Bathelt, M.A.
zur Eröffnung der Ausstellung am 28.2.10
in der Galerie der Stadt Herrenberg


Wenn wir Werken der Kunst gegenübertreten, so haben wir zumindest eine Voraussetzung zu erfüllen und eben sie ist unverzichtbar. Diese Voraussetzung ist die Gründlichkeit der Betrachtung. Der flüchtige Blick ist eine Zumutung gegenüber dem Künstler und vor allem sich selbst gegenüber.

Nachdem Otto Normalverbraucher längst verstorben ist, ist es heute Max Mustermann mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben oder mit Frau Mustermann, was allerdings kaum einen Unterschied macht. Das Paar Mustermann betritt also diese Werkschau von Elisabeth Schwall, sieht sich sogar um und denkt sich ein „Abstrakt also, also abstrakt.“ Damit ist das Ganze innerlich abgebucht unter: Soll man nicht verstehen, kann man nicht verstehen, muss man nicht verstehen.

Persönlich ist mir das nach langen leidvollen Beeinflussungsversuchen längst gleichgültig geworden. Wer nicht will oder nicht kann, der schadet sich selbst. Punktum! Gerne wird dieser Schaden aber auch als Überzeugung an Dritte weiter gegeben. Vor einigen Jahren hat eine wissenschaftliche Untersuchung – aber was ist heutzutage schon Wissenschaft – eine Untersuchung über Inkompetenz ergeben, dass ein hoher Grad von Inkompetenz förderlich für die Verbreitung eigener Ansichten ist, bei einem hohen Grad an Kompetenz aber der Kompetenzler dazu neigt, sich selbst gewaltig zu unterschätzen. Das gibt uns eine Erklärung für vieles, was wir täglich erleben.
 
Gemünzt auf unsere Werkschau wird der Inkompetente höchstens die Achseln zucken und das Ganze irgendwo bei Geschmier ansiedeln. Der Kompetente wird versuchen, sich den Arbeiten zu stellen und sich fragen, ob zum Beispiel ein Bild „Scerzo“ auch etwas mit dem Scerzo in der Musik zu tun hat und ob zwischen Titel und Werk eine Angemessenheit besteht.

Dazu muss ich wissen, was ein Scherzo überhaupt ist. Wissen, wenn auch begrenztes, abzurufen ist heute leichter denn je. Schauen wir bei Google nach:

Scherzo ist die Bezeichnung für eine musikalische Satzform. Das Scherzo - von ital. scherzando "heiter", "lustig" -  ist seit Ludwig van Beethoven zumeist der 3. Satz einer Sonate oder Sinfonie. Es ging aus dem Menuett hervor, einem dreiteiligen Tanzsatz im 3/4-Takt, der in der Wiener Klassik, z. B. bei Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart, in die Sonate/Sinfonie integriert wurde und seinen Ursprung wiederum in höfischer Tanzmusik des Barock hat. Ein Scherzo ist zumeist bewegt - schnell und wird heiter und lebendig gespielt, geht also eine Allianz ein mit den Tempobezeichnungen: Allegro, Vivace oder Presto. Das Scherzo kann verschiedene Färbungen entwickeln: vom heiteren Tanzsatz bis hin zu dämonischer, schwirrend - schwebender, kraftvoll-rustikaler, melancholischer, grotesker oder tragikomischer Atmosphäre. (Frédéric Chopin, Felix Mendelssohn Bartholdy, Anton Bruckner, Gustav Mahler, Dimitri Schostakowitsch).

Um einen Zugang zu Elisabeth Schwalls gleichnamiger Eitemperaarbeit zu bekommen hätten wir beispielsweise nachzuforschen, welche Färbung sie denn gewählt hat, d.h. ob Haydn oder Schostakowitsch Pate gestanden haben. Wenn wir diesen optionalen Spielraum bedenken, dann wissen wir schon mehr über Absicht und Ergebnis dieses Werkes. Zusätzlich können wir bekannte Begriffe aufrufen wie „Klangfarbe“ oder „Komposition“, die ja nicht von ungefähr für Musik und Malerei genutzt werden.

So gerüstet können wir uns anderen Arbeiten der Künstlerin zuwenden und dabei feststellen, dass wir nicht gerade mit der leichtesten ihrer bildnerischen Lösungen angefangen haben. Bildtitel wie „Übergang“, „Stille“ oder „Vorfrühling“ wären auf einer momochromen Fläche, mit lauten Farben und bloßer Ausgrenzung von Fläche kaum angemessen bedient.

Ist die Herstellung von Kunst denn so einfach, dass es bloß gilt eine Angemessenheit zwischen Titel und Werk herzustellen? Was mache ich dann mit den zahllosen Bezeichnungen „ohne Titel“?  Adäquatio/Angemessenheit ist immerhin ein Helferlein bei einer ersten Annäherung an ein Bild. Eine weiter gehende prüft die Art und Weise, wie sich Farbe und Fläche über die Leinwand verbreitet haben, sucht danach, welche Rolle die Linie spielt, oder ob der illusionäre Tiefenraum überzeugt.

Natürlich darf auch danach gefragt werden, ob mir als dem Betrachter das Ergebnis auch gefällt. Alle vorherigen Analysen können  zu einem positiven Eindruck beitragen und doch kann das Gezeigte nicht meine Welt sein. Eben das bedeutet aber nicht, das das Werk schlecht ist, sondern lediglich, dass ich auf einer anderen Frequenz sende.

Die Malerei Elisabeth Schwalls ist stets eine gründliche Auseinandersetzung mit einem gewählten Thema und immer getragen von dem gestalterischen Willen, dem Erkannten eine angemessene Umsetzung zu schaffen. Ihre geglückten Versuche stellt sie uns hier nicht als Massenware vor, sondern in  sensibler Verknappung, die der einzelnen Arbeit Raum zur Entfaltung ihres Besonderen gibt. Dabei bedient sie sich unterschiedlicher Transportmittel, arbeitet mit Acryl und Eitempera und zeigt auch ein überaus stimmige Reihe von Holzschnitten, die ihre Höhepunkte finden als „Windzeichen“, „im Tanz“ und in einer Folge „Spiegelungen“, die drei farbunterschiedliche Abzüge kombiniert.

Vieles vom eben Gesagten trifft auf vieles in der Kunst zu, das wir kennen. Was aber ist das Besondere und damit das Legitimierende für die Kunst von Elisabeth Schwall? Ich meine dieses Besondere in der Sensibilität zu finden, mit der bei ihr die Auseinandersetzung zwischen Thema und der eigenen Persönlichkeit stattfindet. Das ist gewiss kein eindimensionaler Geist, der sich hier mit der schönen Oberfläche begnügte.  Ihr Spektrum reicht von einem bedrohlich – perspektivisch gerichteten Bildraum (Diptychon) bis zur Wiedergabe einer tiefen Betroffenheit (Passion). Das Helle und Leichte ist ihr ebenso vertraut wie das Dunkle und Schwere.

Elisabeth Schwalls Kunst ist voller Lebenserfahrung, voller Liebe zur Welt und doch zugleich auch voller Leiden an dem, wie diese Welt auch sein kann. Um alles auszuhalten braucht sie die Ruhe im Kunstschaffen. Ihr Werk lässt uns an ihrer Seele teilhaben.




Letzte Aktualisierung 08.03.2010